Mittwoch, 11. Juli 2018

Castrup

Über konstruktivistische Bilder

1976
Am Hafentag gestern habe ich meine alte Freundin Andrea wieder getroffen. Wir haben uns vor mehr als 30 Jahren das letzte Mal gesehen. Davor sind wir uns im Studentenalter nahe gekommen - und davor in den Schulferien. Zwischen diesen Treffen lagen also immer wieder Jahrzehnte. Wie wird sie heute aussehen? Eine Frage, die Daniel Glattauer in "Gut gegen Nordwind" verhandelt: Soll man sich das Bild, das man sich gemacht hat, durch die Wirklichkeit korrigieren lassen? Es könnte die Wirklichkeit gegenüber dem im Laufe der Jahre vertieften Bild enttäuschen. (Drum Warnung an alle Frauen: Vorsicht bei Witwern: Sie verherrlichen die Verblichene bis zur Unkenntlichkeit, an der die Nachfolgerin gemessen wird. Stimmt natürlich nicht allgemein, kommt aber immer wieder vor.) Da ich gefunden habe: Das selbstgemachte Idol soll an der Wirklichkeit zerschellen können, habe ich sie (sie hat im Internet keine Spuren hinterlassen) gerade noch rechtzeitig vor unserer Abreise wiederfinden können.
Sie kommt also und holt mich für einen ausgedehnten Spaziergang ab. (Yvonne ist froh, mal in ihrem Schneckenhäuschen allein walten zu können.) Ja, das Idol ist zerschellt - eine nagende Sehnsucht ("Da ist noch etwas offen") ist einfach gelöscht. Delete und fertig (nicht mal im "Papierkorb"). Aber stattdessen gibt es ein Sich-Wiedererkennen (Wir schmunzelten: Sie trug ein ähnliches Kettenhemd (grobgestrickter Pullover) wie damals (es gibt von "damals" noch ein "Selfie" von uns). Und ein (wieder) Vertraut-Werden durch intensive Gespräche. Also Herr Glattauer, die Realität lässt zwar Bilder kollabieren, aber sie ist auch ein Angebot, neue Wirklichkeiten zu entdecken und aufzusuchen.

Abschied von Vater Rhein

Da kommen wir nun an die Abzweigung in die Ruhr und verabschieden uns artig vom Vater Rhein, der uns solange (630Km) getragen hat, uns seine Majestät gezeigt hat, aber auch seine Kraft, der die Landschaft zentriert und versorgt und die Anwohner zu Kultur und Industrie anregt. Sagen also "Vielen Dank, lieber Vater" und biegen ab. Aber so leicht entlässt er uns nicht. Wir kommen auf der Ruhr an die erste Schläuse und ich probiere die Funkkanäle durch, die auf den verschiedenen Karten angegeben sind. Langsam zweifele ich an der Funktionstüchtigkeit des Funkgeräts. Da, auf dem Kanal einer benachbarten Schleuse, kommt die Meldung: "Die Ruhrschleuse schleust heute nicht."
Also Kehrtwende und zurück zum Rhein. Aber nach dem nächsten Abzweig ist der Abschied dann wirklich endgültig. Jetzt kommt also das Kanal-Fahren. Es beginnt gleich an der ersten Schleuse: "Schleuse 2 Postition 3" ist die Anweisung. Ich antworte: "Schleuse 2 Position 3 - Verstanden!" Yvonne fragt mich: Weisst Du denn, was das heisst?" Ich: "Nein, keine Ahnung - aber sehn wir mal, was passiert." Des Rätsels Lösung: Bei der übernächsten Bergfahrt sind wir in Position 3 dabei. Tatsächlich kommen wir dann auf Position 4, weil sich noch ein Bau-Boot eingeschmuggelt hatte. (Man kennt sich, wie wir am Funk merken.) Das ist gar nicht schlecht, denn wir können auf diese Weise an diesem Bauboot festmachen und müssen nicht mühsam Haken in der Schleusenwand wechseln. So entsteht wieder eine nette Plauderei mit einem der beiden Kapitäne. Wir haben noch Glück. Im Funk hören wir: "Schleuse 5" - "Oh - denn heb we ja noch tüchig Tied" "Ja, wir arbeiten so schnell wir können" Was natürlich nur nett war, denn ein Schleusenzyklus lässt ich nicht wirklich verkürzen (nur verlängern). Bei der nächsten Schleuse (und einem längeren Regenguss) kommen wir aus dem Tritt und müssen recht lange warten. Schliesslich kommen wir hinter einen holländischen Doppelkahn, Er ist doppelt so lang, wie die meisten anderen Schiffe und passt mit Tiny zusammen gerade so in die Schleusenkammer (vorn und hinten vielleicht noch 5 m Platz) "Können wir einfahren?" Frage ich über Funk. "Ob Ihr das könnt, weiss ich nicht, ich sitze 10 km weit weg". (Die Schleusen werden ferngesteuert.) "Aber probiert's doch mal!"




Wenn so ein Pott anfährt, dann muss Tiny gut vertäut sein, damit sie nicht querschlägt. Aber er fährt wirklich vorsichtig an - wohl weniger wegen uns, mehr, weil er von der Breite her auch geradeso eben in die Kammer hinein passt. Glücklicherweise tuckert er so gemächlich, dass wir uns an ihn anhängen können und auf diese Weise die weiteren zwei Schleusen bis Castrupp ohne Wartezeiten, wenn auch ziemlich durchnässt passieren können. So kommen wir gegen 21:30 in Castrup an und finden um diese Zeit keine Gaststätte mehr. Anstatt das Yvonne nun ihr erhofftes fürstliches Essen vorgesetzt bekommt, muss sie den Skipper bekochen. Aber nach so einem Outdoor-Tag schmeckt auch Polenta mit Oliven und Ziegenkäse fürstlich.

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